Darf ich mich zuerst vorstellen. Mein Name ist Balduin, der Bilgengeist. Ich wohne auf der Farr 40 "Farr-Laessig" seit sie vor 3 Jahren vom Meeresgrund gehoben wurde. Ich habe in meinem Leben ja schon so einiges erlebt, aber was sich in den letzten 2 Wochen hier abgespielt hat, das sucht seinesgleichen:
Am 09.06.2013 wurde ich unsanft aus meinem Mittagsschlaf gerissen als 8 hochmotivierte Segler das Boot stürmten und die Dreistigkeit besaßen meine 8 Rohrkojen zu besetzen. Als wenn dies nicht genug wäre, nahmen sie alle meine sorgsam verstauten Segel, packten diese aus, inspizierten sie und ordneten diese neu. Aber wenigstens hatten sie Kenntnisse über das Tapen und Nähen von Segeln, denn sie ließen es sich nicht nehmen auch das kleinste Loch auszubessern. Völlig erstaunt war ich über eine spezielle Technik beim Packen der Spi's. So wurde in gleichmäßigen Abständen der Spie mit Wollfäden umwickelt. Das habe ich ja noch nie gesehen.
Da jeder lediglich eine kleine Tasche mit an Bord brachte nahm ich an, dass ich sie nur über das Wochenende ertragen müsste und ich meine Farr 40 anschließend wieder für mich alleine hätte. Ich hatte mich zu früh gefreut. Sie blieben volle 14 Tage.
Irgendwann kamen die Herren auf die Idee den Hafen von Varazze zu verlassen und nach San Remo zu segeln. Unmittelbar nach dem Einlaufen verließen sie gemeinsam das Boot und kamen erst Stunden später wieder zurück. Im Boot roch es nach Mai-Tai und Mojito und kurz darauf erfüllte ein sonores Schnarchen die Nacht.
Tags darauf ging es sehr geschäftig zu an Bord. Schon früh morgens wurden Leinen klariert und Segel bereit gelegt. Vor San Remo wurde das Meer Kreuz und Quer durchpflügt. Ständig fielen Begriffe wie "Wende", "Halse", "Schifte", "dicht", "dichter" oder "geht nicht".
Und so ging das die ganzen nächsten Tage weiter.
Irgendwann kam einer der Segler auf die Idee den Bootsrumpf mit ovalen grünen Aufklebern zu versehen und es wurde eine riesige Fahne mit der Aufschrift Giraglia-Rolex-Cup gesetzt. Nun war mir endgültig klar: Die wollen keinen Urlaubstörn machen, das riecht nach Stress.
Als ich mich gerade an den schon fast stoischen Ablauf (Früh aufstehen, den ganzen Tag segeln und abends Mai-Tai und Mojito Duft) gewöhnt hatte, wurde alles über den Haufen geworfen:
Der Segeltag war kürzer, der Mai-Tai und Mojito Duft fehlte und abends wurde nach einem fulminanten Feuerwerk mitten in der Nacht zu einer Regatta nach Saint Tropez gestartet. Während viele der Teilnehmer Schwierigkeiten mit dem nur mäßig wehenden Wind hatten, konnten meine neuen Mitbewohner das Boot mit einer erstaunlichen Leichtigkeit zwischen den anderen hindurch manövrieren.
Die Jungs wurden mir immer sympathischer.
Später in der Nacht schlief der Wind völlig ein. Nun kamen auch wir nicht mehr weiter. Nach quälenden Stunden des Wartens frischte der Wind wieder etwas auf und wir schleppten uns bis zum späten Nachmittag zum Ziel vor Saint Tropez.
Erleichtert über das Ende dieses Rennens wurde in den Hafen von Saint Tropez eingelaufen. Mir stockte der Atem. Der Hafen war vollgestopft mit Rennyachten und tausende von Seglern liefen vielbeschäftigt umher. Nun war es endgültig vorbei mit der gemütlichen Ruhe.
Nach über 50 Meilen durch die Nacht wurde früh zu Bett gegangen.
Sonntag, jetzt ging's zur Sache. Erstes Inshore-Rennen:
Erstaunt stellte ich fest, dass andere Bilgengeister viel größere Boote bewohnten. Auf der Wally 100 "Magic Carpet 3" muss eine ganze Geisterfamilie wohnen…. aber zurück zur eigentlichen Geschichte:
Meine acht Mitbewohner stürzten sich derart ins Getümmel, dass mir Angst und Bange um mein kuscheliges Zuhause wurde. Kurz vor dem Startsignal wurde der Ton an Bord rauer, die Winschen knarrten und das ganze Boot ächzte unter der Last der dicht genommenen Segel als wir die Startlinie überquerten.
Doch irgendwie war der Wurm drin, der Speed stimmte zwar, doch konnte die Höhe der anderen Boote nicht gehalten werden. Die Jungs machten zwar unter Spi wieder einige Plätze gut, doch reichte es nicht um vorne mitzufahren.
Montag, zweites Inshore-Rennen:
Schon als der erste der Acht mit Zigarette und Kaffee in der Hand an Deck trat spürte ich - heute war mehr drin.
Nach einem fast perfekten Start - Reling an Reling mit der Vorjahresgewinnerin TP52 "Near Miss" - ging es ganz vorne auf die Kreuz. Heute stimmten Höhe und Speed. Ich war echt stolz auf die Jungs als unsere "Farr-Lässig" die Luvmarke kurz nach den Favoriten unserer Gruppe rundete.
Der Spi wurde gesetzt (dafür waren also die Wollfäden!!!) und ab ging die Rauschefahrt zur Ablauftonne.
Mehrere Boote vor uns hatten schon Probleme bei der anschließenden Schifte und auch unsere lief nicht glatt. Obwohl kein Dreivierteltakt zu hören war tanzten Vorstag und Spi Walzer und wickelten sich verliebt umeinander. So ein Mist! Die Jungs versuchten zwar Spi und Vorstag zu einer rein platonischen Beziehung zu überreden, doch leider gelang dies erst nach etwa 45 Minuten. Da war das Feld jedoch schon an uns vorbeigezogen und nur noch als Reihe kleiner Punkte am Horizont zu sehen.
Mein Kollege - der Sportsgeist - war zum Glück auch an Bord und so wurde auch die zweite Runde gesegelt ohne Chance zum Feld aufschließen zu können.
Abhaken, morgen wird's besser!
Mit diesem Motto verließen sie das Schiff um sich auf der Party zu amüsieren. Die Party war wohl gewohnt großzügig allerdings am Strand und nicht in der Zitadelle wie in den Vorjahren. Die gute Atmosphäre sorgte für recht unterschiedliche Rückkehrzeiten sodass ich öfters in meinen wohlverdienten Schlaf gestört wurde.
Dienstag, drittes Inshore-Rennen:
Die Lehre aus dem Vortag hieß gut starten und dann konzentriert Segeln. Und so fuhren die Jungs in der Vorstartphase dahin wo die Action ist, ganz nah ran an die Startlinie. Eingeklemmt zwischen den Top-Booten ging es mit dem Startsignal über die Linie. Auf der anschließenden Kreuz und dem Spikurs konnten sich die Jungs gut vor dem Hauptfeld halten. Die gefürchtete Schifte klappte auch gut und so kam schon vor dem Zielanlauf ein wenig Euphorie über die erfreuliche Platzierung auf.
Umso niedergeschlagener kamen sie vom Regattakomitee wieder… wir hatten die Startlinie ein paar Augenblicke vor dem Startsignal überquert. Der erfolgte Einzel-Rückruf ist wohl im Getöse und Gedränge der ersten Sekunden nach dem Start untergegangen. Wir waren für das Rennen disqualifiziert worden.
Mittwoch, Giraglia-Race:
Für die Langstrecke wurde ausreichend Wasser gekauft, immerhin wurde an den Tagen vorher das eine oder andere Mal nach "Aqua" und "Eau" verlangt.
Wir wollten schließlich keinen unserer Gegner durstig leiden lassen. Der Start war gewohnt gut jedoch war für dieses Rennen wohl eher die Taktik und die Konzentrationsfähigkeit wichtiger als blitzschnelle Manöver.
Bei der Wendemarke „La Formique“ gab es eine Schrecksekunde bei der ich um den Kiel meines schönen Bootes fürchtete. Als im Gedränge die Spi’s eingeholt wurden blieb eine X35 bei geringer Wassertiefe plötzlich abrupt neben uns stehen. Und nicht nur den Jungs wurde klar: Das war knapp.
Allmählich verloren sich die Yachten in der Weite des Ligurischen Meeres und wir sahen nur noch vereinzelt Konkurrenten. Am Felsen von Giraglia waren plötzlich die anderen Boote wieder neben uns und nach einem beherzten Schluck auf die Rundung fuhren die Jungs Richtung Ziel vor Genua.
Im Gefecht mit drei Konkurrenten auf den letzten Meilen schafften sie es zunächst mit Top Spi an den anderen Booten vorbeiziehen. Dieses Manöver wurde abrupt beendet als der Kapitän eines 293m langen Kreuzfahrtschiffs der Meinung war „meiner ist grösser“ und sie zwang mit Spi einen Aufschießer zu fahren um nicht als Kratzer an der Bordwand zu enden.
Während dessen zogen die anderen Boote vorbei und wir kamen um 3 Plätze nach hinten versetzt ins Ziel.
Nach einem kurzen Schläfchen der Crew beendeten sie das Project Giraglia-Rolex-Cup auf einer gemütlichen Party im Yacht Club Italiano. Obwohl ich sie über die Zeit in mein Herz geschlossen hatte, bin ich nun froh, wieder meine Ruhe zu haben und mit meinem Boot die Sonne des Mittelmeeres zu genießen.
Crew: Martin (Skipper Inshore), Gunnar (Skipper Offshore), Rüdiger, Jens, Tiemo, Udo, Thorsten und David
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