Eine erfahrene ASK Crew mit einer Crewstärke von 10 Segelnden und insgesamt weit über 30.000 SM Segelerfahrung in den Meilenbüchern brach Ende Juni zu einer Expedition (Eigeneinklassifizierung des Skippers) der besonderen Art auf. Gut gerüstet mit 20 Tüten Chips Expeditionsproviant – auf Anweisung des Skippers – und importierten Spirituosen (die Freimengen Berechnungsapp des norwegischen Zolls sei empfohlen) sowie einer genauen Mahlzeitenplanung (die jedoch den Skalierungsfaktor für hungrige Segelnde nicht beinhaltete) starteten wir Ende Juni im Hafen von Harstad auf der Insel Hinnøya in der Provinz Troms unseren zweiwöchigen Törn auf einer Bavaria 51 Cruiser aus 2010. Zielhafen war Tromsø, die Route sollte sich nach dem Wind richten, wobei einige Must-Dos in der Wunschliste vermerkt waren. Einen Sonnenuntergang sollten wir dank der Mitternachtssonne auf der gesamten Reise nicht sehen.
Erstaunlicherweise konnten die Must-Dos der Crew relativ schnell erlebt werden: in Hafensauna schwitzen (Tag 0), kleinen Ort anlaufen und dann drauflos wandern (Tag 1), Wale sehen (Tag 2), Ankern in Bucht und an den Strand schwimmen (Tag 2), Trollfjord erleben (Tag 3), Eis und Schnee durchlaufen (Tag 3), Mitternachtswanderung auf einen Berg (Tag 5), Fisch essen (Tag 7) und Boot sicher in Endhafen bringen (mit der ersten Brückenunterquerung an Tag 1 war der Grundstein gelegt). Nur die Wunschpunkte „nicht vor 7 Uhr aufstehen“ und „eine Käserei besuchen“ konnten nicht erfüllt werden. Zum einen war das Revier zu spannend, um nicht die Tidenströmung um 5 Uhr morgens zum Auslaufen zu nutzen, zum anderen ist es immer hell, sodass Tage und Nächte verschwimmen. Dadurch war das Abendessen auch mal um 23 Uhr erst fertig und man kam um 2 Uhr nachts vom Strandbesuch oder einer Wanderung zurückkam. Die zuverlässig abgespielte "ASK Guten Morgen" Playlist (die originale!) bot jedoch einen guten Indikator für die Aufstehzeit. Auf die Besichtigung einer Käserei konnte verzichtet werden, da die sympathische Milch-Tine im Supermarkt ohnehin unsere erste Anlaufstelle darstellte und die norwegische Käseauswahl mit täglich selbst gebackenen Sauerteigbrot an Bord vorzüglich schmeckte.
Whale Watching
Brückendurchfahrt: Obacht bei Mast
Zimtschnecken mit Kakao als Anleger
Der Expeditionscharakter zeigte sich vor allem bei den Wanderausflügen, sodass eine attraktive Familienwanderung auch mal in einer Kletterpartie und Durchquerung eines Schneefeldes enden konnte. Unverzeichnete Häfen wurden eigenhändig mit dem Schiffsecholot ausgemessen, in Navily angelegt und damit die Pionierarbeit für kommende Seeleute geleistet.
Ankern in einer einsamen Bucht
Das Segelrevier besticht durch seine atemberaubende Natur, die zwar bereits von Wasser eindrucksvoll erscheint, ihre volle Schönheit jedoch erst auf den Gipfeln preisgibt. Daher ist das Revier insbesondere für Wanderbegeisterte mit Trittsicherheit und Kondition geeignet, die einem Aufstieg über felsige und rutschige Wege nach einem Segeltag nicht abgeneigt sind. Die Topografie bedingt, dass es nahezu ausschließlich immer mehrere hunderte Höhenmeter bergauf geht und die gleiche Höhe dann auch direkt wieder abgestiegen wird. Der Blick auf die weite Inselwelt zu Füßen sind ganz besondere Augenblicke, die dieses Gebiet einzigartig machen. Dabei stehen die nördlichen Inselgruppen den bekannteren Lofoten in nichts nach, sind jedoch weitaus weniger besucht. Die Strände waren außerhalb der Lofoten menschenleer.
Ein paar Wandereindrücke
Der gewählte One-Way Törn ist zu empfehlen, da eine weite Distanz von Süd nach Nord zurückgelegt werden konnte und sollte nach unserer Meinung – wann immer möglich – einem Rundtörn vorgezogen werden. Der Törn könnte auch noch um eine dritte Woche verlängert werden und so das Nordkap erreicht werden. Zwei Wochen werden als Mindestlänge für einen Törn zur Entdeckung der Inselgruppen eingeschätzt. Insgesamt bietet das Revier unerschöpflich viele Möglichkeiten an Wanderungen, Gipfeln und Orten, dass es gut und gern mehrere Wochen für eine voll umfassende Erkundung braucht. Sollte Tromsø Start- oder Zielhafen sein, empfiehlt sich eine Verlängerung zur Städtereise. Die Crew verbrachte im Anschluss an die Abgabe des Bootes zwei Tage in einem großen Ferienhaus und entdeckte die charmante, nördlichste Universitätsstadt der Welt gemeinsam.
Das Revier ist nicht überlaufen und andere Freizeitsegelnden sind nur ab und an anzutreffen, sodass man im AIS problemlos die Reisen der Liegenachbarn verfolgen kann. Viele Häfen sind zudem sehr klein und bieten nur Platz für 1 - 2 größere Boote ab 40 Fuß, sodass eine genaue Routenplanung mit Ausweichmöglichkeiten erfolgen muss. Meist ist der Platz aber frei und oft waren wir das einzige Boot im Hafen oder der Bucht. Im Allgemeinen wird längsseits angelegt. Alle Häfen haben Möglichkeiten zur Aufnahme von Frischwasser und oftmals Strom. Auch wenn in Norwegen alles Bargeldlos bezahlt wird, sollte zum Zahlen der Liegegebühren Bargeld in NOK mitgenommen werden (in Briefumschlägen). Es ist kein Hafenmeister vor Ort und als Bezahlmöglichkeit gibt es in der Regel nur die App Vipps, für die aber ein norwegisches Bankkonto notwendig ist. Mit etwas Aufwand kann eine Überweisung vom deutschen Konto vorgenommen werden, die einfachere Variante ist aber sicherlich die Bargeldlösung. Die Gebühren liegen größtenteils bei umgerechnet ca. 13 bis 38 Euro. Manchmal ist auch eine Sauna inkludiert, Duschen und Waschräume gibt es nur selten.
Ausblick aus der Hafensauna
Aufgrund der geringen Frequentierung der Häfen ist auf die Hafenführer nicht immer Verlass, Navily bietet die aktuelleren Informationen. So wurde ein Steg (Hamn i Senja) direkt nach unserem Ablegen abgerissen (die Bauarbeiter standen mit gezücktem Werkzeug bereit), ein anderer neu angelegter Hafen (Fjordgård) war in keiner Karte verzeichnet. Bei den Häfen ist auf den Tiefgang zu achten, meist sind die Naturhäfen nicht für größere Boote ausgelegt.
Das Revier ist gut betonnt, alle Fahrwasser sind zuverlässig markiert. Markante Untiefen werden markiert, jedoch teils nur sehr schwer sichtbar mit dünnen "Pistenstäben". Leuchttürme sind im Sommer ausgeschaltet. Bei manchen Inseln gibt es ausgeprägte Schärengebiete, die eine sehr genaue Navigation erfordern. Die Tiden sind zu beachten, spielen jedoch aufgrund der Ausstattung mit Schwimmstegen in allen Häfen nur eine untergeordnete Rolle. Die Tidenströmung dagegen sollte bei der Routenplanung beachtet werden. Läuft man mit ihr, können leicht 8 Knoten Fahrt bei leichtem Wind erzielt werden oder bei Fahrt unter Motor mit geringer Drehzahl gefahren werden. Die Strömung gegenan erschwert die Fahrt durch den Strom.
Wind war super
Aufgrund der geringen Dichte an Charterbasen und der Entfernungen ist es unabdingbar, dass eine erfahrene und in Notfallsituationen überlegt agierende Crew das Schiff steuert. So kam es vor der Westküste Andøyas zum kompletten Ruderausfall, eine Steuerung des Bootes über die Steuerräder war nicht mehr möglich. Die Crew ankerte daraufhin unter Notpinne in der nächsten geeigneten Sandbucht, da mögliche Häfen zu weit weg gewesen wären. Unter Anker wurde der Autopilot und die Steuereinheit von den ASK- Mechanikern und Getriebespezialisten mit dem mitgebrachten Werkzeug ausgebaut und die manuelle Steuerung wieder repariert. Für die Instandsetzung des Autopiloten fehlten die Ersatzteile. Der Vercharterer hat in dieser Situation keinerlei Hilfe angeboten und wäre wohl auch erst mit einer Anreise von zwei Tagen vor Ort gewesen. Das Boot war für sein Alter von 15 Jahren gut gewartet, jedoch blieben Materialausfälle nicht aus. Am zweiten Tag war bereits die erste Winsch defekt und wurde einmal auseinandergenommen, repariert und wieder zusammengebaut. Die Instrumente haben nicht alle einwandfrei funktioniert. Ein größeres Süßwasserleck konnte auch mit reichlich Ehrgeiz und Rastlosigkeit unseres Chief Technical Officers an Bord bis zum Schluss nicht gefunden werden, trotz täglicher Fehlersuche und intensiver Kontrolle aller zugänglicher Leitungen. Bei der Suche wurden kleinere Lecks gefunden und repariert, aber dennoch sammelte sich täglich mindestens 40 Liter Wasser in der Bilge. Die Mitnahme von eigenem Werkzeug empfiehlt sich, ebenso mechanisches und technisches Verständnis.
Reparatur der Ruderanlage
Bei der Auswahl des Bootes sollte auf eine Ausstattung zum Segeln in kalten Gewässern geachtet werden. Das Wetter war zum Törnzeitpunkt noch empfindlich kalt (im Schnitt 13 Grad mit kalten Winden meist von Nord), sodass eine Kuchenbude (Rundumabdeckung für das gesamte Cockpit um dieses zu beheizen) sehr zu empfehlen ist. Eine Heizung sollte ebenfalls an Bord sein. Um matschige Schuhe und regennasse Kleidung zu lagern, empfiehlt es sich ausreichend Nasszellen an Bord zu haben und eine davon als Schuh- und Kleidungslager zu nutzen. Es sollte genug Wasser an Bord sein, auch für einige Duschrunden der Crew an Bord. Der Dieselverbrauch ist aufgrund der Heizung erhöht, in unserem Fall war auch der Gasverbrauch aufgrund des täglichen Brotbackens größer als gewohnt.
Einkaufsmöglichkeiten gab es in nahezu jedem Ort (Achtung, sonntags haben die Geschäfte auch in Norwegen geschlossen!), teils auch mit 24-Stunden Supermärkten mit Kreditkartenzugang, in denen die wichtigen täglichen Lebensmittel (Chips, Milch, Mehl) aufgefüllt werden können. Restaurants oder Cafés haben dagegen Seltenheitswert und waren – sofern vorhanden – im Sommerurlaub (selbst die Polizei konnte nicht weiterhelfen). Gute Smuts waren aber an Bord und so wurden neben dem frischen deutschen Sauerteigbrot (genaue Anleitung zum Nachbacken im ASK-Wiki hinterlegt) auch landestypische Köstlichkeiten wie Trollfjorddrink, Trollkrem oder Kanelknuter genossen, ebenso wie Älplermagronen und Skinny Bitch als internationale Klassiker.
Ein späterer Reisezeitpunkt könnte empfohlen werden. Die Mitternachtssonne endete an dem südlichsten Punkt unserer Reise, in Reine, am 19.07., am nördlichsten Punkt Tromsø am 25.07., sodass auch bei einem späteren Törnstart das Tageslicht genutzt werden kann. Innerhalb der zwei Wochen gab es einen einzigen Regentag mit Sturmwarnung, der im Hafen Henningsvær abgewettert wurde. Bei der Übernahme des Bootes herrschten in Harstad sonnige Temperaturen um die 20 Grad, die dann wieder stark abnahmen. In der Woche nach unserem Törn traf eine große Hitzewelle Norwegen mit Temperaturen um 30 Grad. In das Reisegepäck gehören somit ein komplettes Ölzeug mit guten Stiefeln (Analyseergebnisse der aktuellen Stiefeltrends liegen vor), aber auch Kleidung für wärmeres Wetter sowie Wanderschuhe und Wanderbekleidung.
Die Anreise kann mit dem Flugzeug (Direktflüge oder mit Umstieg nach Harstad / Narvik oder Tromsø ab Frankfurt) oder auf dem Land- und Wasserweg erfolgen. Letzteres nimmt mindestens einige Tage in Anspruch mit dem kürzesten Weg über Schweden und Narvik. Mit etwas mehr Zeit lässt sich in zwei zusätzlichen Wochen und einem Interrail Ticket einiges vom restlichen Norwegen entdecken, insbesondere die lebhaften Städte. Diese klimaneutralere Anreise wurde von zwei Crewmitgliedern gewählt und kann von diesen empfohlen werden.
Die gesamte Crew bedankt sich bei der ASK für die Möglichkeit dieses einzigartige Revier zu entdecken und steht für zukünftige Crews und Projektplanung gern zur Unterstützung bereit. Das Revier hat es verdient, ein Klassiker im ASK Törnkalender zu werden!
Route mit Häfen/Buchten: Harstad (Hinnøya), Lødingen (Hinnøya), Gullvika/ Randsvika (Stormolla), Trollfjord (Austvågøya), Kabelvåg (Austvågøya), Svolvær (Austvågøya), Henningsvær (Austvågøya), Reine (Flakstadøya), Haukland Strand (Vestvågøya), Bø (Langøya), Skårvågen (Langøya), Andenes (Andøya), Hamn i Senja (Senja), Senjahopen (Senja), Fjordgård (Senja), Sørvika (Festland), Tromsø (Festland)
Zurückgelegte Distanzen: 451 Seemeilen, 46 Wanderkilometer, 2.700 Höhenmeter (bergauf)
Vorwiegender Kurs: meist Wind gegen an mit Kreuzen, an zwei Tagen achterlicher Wind. 9 Tage mit überwiegender Segelstrecke (die typische Strecke betrug 30 SM, die je nach Kurs entsprechend länger wurde, eine halbe Meile hat sich als Distanzmesser innerhalb der Crew etabliert).
Wetter: 3 - 28 Knoten Wind, 8 - 16 ° Celsius Lufttemperatur, 10 - 14° Celsius Wassertemperatur
Anlegen: 11 x Längsseits, 3 x Ankern, 1 x mit Heckleine, 1 x Päckchen, 1 x Boje, 1 x Box (Neuanlage von 3 Häfen und Ankerplätzen auf Navily). Anlegeübungsmanöver können in wenig frequentierten Häfen problemlos durchgeführt werden.
Gesehene und identifizierte Fauna: Grindwale, Minkwale und Pottwale, Seeadler, Gryllteiste, Moorschneehühner, Papageientaucher, diverse Ziegen und unzählige Möwen jeden Lebensalters.
Vorwiegende Freizeitbeschäftigungen: Sechs Wandertouren, vier Saunatage, Studie der norwegischen Lebensart, Kunst und Kultur mit Spaziergängen durch neun Hafenorte, ungezählte Bäder im kalten Nordmeer und Bergsee.
Proviantverbrauch (Auswahl): 7 kg Smågodt Süßigkeiten, 30 Tüten Chips, 13 kg Nudeln, 10 kg Mehl, 25 Liter Milch.