Cherbourg 2008

Am Morgen des 5. März ist die Planung perfekt. Während Matthias in einer mündlichen Prüfung seiner letzten studentischen Pflichten vor der Abreise nachkommt, treffen sich die anderen vier Segelbegeisterten pünktlich um 08.30 Uhr, um das Auto zu packen. Um 09.00 Uhr ist die ASK-Crew vollständig und nimmt Kurs nach Westen auf. Aufgrund eigener Erfahrung und Berichten anderer über französische Segelveranstaltungen, wie z.B. die EDHEC, sind wir skeptisch bezüglich der versprochenen Vollverpflegung und Unterbringung. Somit finden sich neben 5 Schlafsäcken im Auto auch eine elektrische Doppelherdplatte, sowie verschiedene Eintopfgerichte, um während der nächsten Tage nicht zu verhungern.

Dieses Misstrauen verfliegt während der ersten Minuten nach Ankunft im Yachthafen von Cherbourg-Octeville schlagartig. In einer Festhalle werden alle Segler und insbesondere die fünf ausländischen Teams in ihrer Landessprache begrüßt. Wir sind das einzige deutsche Team, außerdem sind drei Teams aus Italien, zwei aus Spanien, sowie eines aus Southampton angereist. Jedem Team aus dem europäischen Ausland steht eine persönliche Ansprechpartnerin zur Verfügung. Nach dem Willkommensgruß zeigt uns Justine, die fließend Deutsch spricht, unsere Unterkunft für die nächsten vier Tage – drei Doppelzimmer im Offiziershotel der Marine. Mit so großem Komfort hat niemand von uns gerechnet. Nachdem das Gepäck eingeräumt ist, werden wir um 20.30 Uhr wieder am Hafen zum Buffet empfangen und sind erneut äußerst positiv überrascht. Schnell ist klar, unsere mitgebrachte Kochplatte werden wir sicher nicht anheizen müssen und den Gulaschdosen steht auch der sichere Reimport bevor.

Es sind 23 Teams angereist. 15 First Class 8 stehen zur Verfügung. Noch am Abend werden die Crews per Los in 4 Gruppen geteilt, von denen jeweils zwei im Fleet-Race gleichzeitig gegeneinander antreten. Wir gehören zu den Gruppen, die als erstes aufs Wasser gehen werden.

Am nächsten Morgen findet eine Skippereinweisung statt, zu der Felix von unserem französischen Mitsegler Louis begleitet wird. Der andere Teil der Crew inspiziert bereits das Boot, schlägt die Segel an und macht sich mit den teils französischsprachig beschrifteten Schoten vertraut. Niemand von uns ist zuvor auf einer First Class 8 gewesen und wir haben keinerlei Erfahrung in dieser Crew. Das macht die Sache besonders spannend! Als unser Skipper eintrifft, werden die Positionen verteilt. Felix ist Steuermann, Matthias Vorschiffsmann, Louis hat den Spinnaker im Griff, Fabian das Vorsegel und Birger die Großschot.

 

Nach kurzer Zeit wird unter Segel abgelegt, was gut funktioniert. Die Fleet-Races finden innerhalb der großen Hafenmauer von Cherbourg statt, die sich mit einem Radius von ca. 1 km um den Hafen zieht. So sind wir einerseits von der ruppigen See des Ärmelkanals geschützt und haben andererseits Windbedingungen wie direkt auf dem Channel. Bei den ersten Manöverübungen zeigt sich schnell, wie eng es für 5 Segler auf der Luvkante werden kann und dass klare Abläufe während der Manöver definiert werden müssen, um sich möglichst wenig gegenseitig zu behindern. Bei 15-18 Knoten Wind sind die Wetterbedingungen ideal. Wir nutzen die Zeit bis zum Start, um Manöver zu trainieren und uns mit dem Spi vertraut zu machen. Dafür, dass niemand von uns jemals auf einer First Class 8 war und wir zum ersten Mal in der Besetzung segeln, ist die Eingewöhnungszeit von rund 45 Minuten sportlich bemessen.

 

Das komplette Feld wird ständig von 6-8 stark motorisierten Schlauchbooten begleitet. Kurz vor dem Start werden wir daraufhin gewiesen, dass ein anderes Vorsegel zu verwenden ist. Der Wechsel klappt zügig. Dank Louis kommt es zu keinerlei Verständigungsschwierigkeiten mit französischem Fachjargon. Schließlich wird der Beginn der Startphase angeschossen. Felix steuert geübt in die der Startlinie entgegen gesetzte Richtung. Die Crew lauscht seinen Anweisungen, alle sind gespannt. Zur Halbzeit der Startvorbereitung wenden wir und nehmen Kurs auf die Startlinie. Felix luvt an und exakt beim Startschuss überqueren wir die Ziellinie – perfekt!

 

Doch schnell wird klar: Die Konkurrenz ist sehr stark. Bei uns gibt es bei jedem Manöver viel Optimierungspotenzial. Die Abläufe klappen immer besser, doch die Distanz zum Regattafeld lässt sich nicht mehr aufholen. Die ersten Boote erreichen die Luvtonne und setzen nach dem Dogleg gekonnt ihre Spinnaker. In der zweiten Runde legen sich auf diesem Kurs einige Boote im klassischen Sonnenschuss auf die Seite, 2 Spinnaker zerreißen dabei. Nach Beendigung des ersten Laufes kümmern sich die Begleitboote um die Schäden. Wir staunen nicht schlecht, als zerrissene Spis ohne zu zögern ausgetauscht werden. Unsere Niederlage erklären wir mit dem Zustand des Bootes Nummer 7, das einen etwas vernachlässigten Eindruck macht.

Im zweiten Lauf kommt es zu einer heftigen Kollision. Zwei Boote, jedes mit nach Vorfahrt schreiendem Vorschiffsmann, steuern auf ein drittes zu. Dieses versucht auszuweichen, wird aber schließlich von beiden Seiten gerammt. Konsequent führt dieser Vorfall für zwei der Kollisionsteilnehmer zur Disqualifikation in diesem Course. Unglücklicherweise schenken wir der Beobachtung des spektakulären Crashs mehr Aufmerksamkeit als unserer nächsten Wende. Nach den zwei Läufen werden die Crews der anderen beiden Gruppen mit den großen Schlauchbooten zum Regattafeld gebracht, wo ein professioneller Crewwechsel stattfindet. Die Organisation ist perfekt!

 

Der Yachtclub ist zentraler Treffpunkt während der Regattatage. Auf gemütlichen Couches kann man sich mit den anderen Crews austauschen. Um 20.30 Uhr gibt es wieder ein leckeres Buffet und danach, wie jeden Abend, eine studentische Party. So mancher Rucksack ist besser bestückt, als eine durchschnittliche Cocktailbar... :)

Am Freitagmorgen gehören wir wieder zu den Gruppen, die als erstes segeln dürfen. Heute klappt alles besser. Mittlerweile wissen wir, welche Schoten wo zu finden sind und wie der Trimm durch das Achterstag optimal genutzt werden kann. Wir belegen im ersten Lauf einen 7. Platz. So macht das wieder Spaß! Im zweiten Lauf versuchen wir den Start weiterhin zu optimieren. Das gelingt auch prima, nur hat uns die Startlinie beim Startschuss aus unerklärlichen Gründen bereits eingeholt, so dass wir ein „OCS“-Vermerk erhalten – Frühstart. So haben wir wenigstens einen Lauf, den wir als schlechtesten sicher aus der Wertung streichen können! Es folgt ein Crewwechsel und wir haben Zeit, uns an Land etwas zu entspannen. Unser Skipper, Felix, wird gleich um ein Interview vom französischen Regionalfernsehsender gebeten.

Am Nachmittag sind die Wetterbedingungen immer noch perfekt und so finden für uns zwei weitere Läufe statt. Immer wieder werden wir von Delphinen begleitet, die außer Konkurrenz an der Regatta teilnehmen.

 
Gegen 15.00 Uhr werden wir per Schlauchboot abgeholt. Die Fahrt ist feucht, salzig, schnell und aufregend! Der Crewwechsel dauert keine halbe Stunde. Nachdem wir die für uns nicht verständliche Spinnakerkonstruktion der spanischen Vorgängercrew umgebaut haben, hören wir schon den Schuss zur Startvorbereitung. Auch diesmal können wir uns im Feld halten, doch Louis hat kurz vor Ende des ersten Laufes eine schlechte Nachricht für uns: Boot Nr. 7 hat soeben als erstes die Ziellinie passiert. Die Crew war allerdings niemand geringeres als der mehrfache Gewinner der Regatta in Folge – „UBS Lorient“.

Am Abend ist ein Treffen in einer Bar im Zentrum von Cherbourg organisiert und auch hier sind wir wieder zum Buffet eingeladen. Besonders bemerkenswert sind die Essgewohnheiten des allgemeinen studentischen Seglers frei nach dem Motto "Friss oder Stirb". Unglaublich, wie um die letzten Spieße und Salate gekämpft wird. Regattafeeling beim Abendessen. Diesmal sind wir ganz vorne dabei!

 

Die letzten beiden Tage der „Trophée de l'Ile Pelée 2008“ werden die Teilnehmer entsprechend der Ergebnisse der ersten Läufe in einer Gold- und Silber-Gruppe aufgeteilt bestreiten. Der erste Lauf am Samstag ist aufregend: Wir segeln vor dem gesamten Feld auf dem zweiten Platz um die Luvtonne und berühren diese bei der Wende unglücklicherweise. Felix entscheidet sich blitzschnell, den aufgrund der Berührung zu segelnden 360°-Törn in minimaler Zeit vor dem nur wenige Meter entfernten Regattafeld mit einer Wende und einer harten Regattahalse durchzuführen. Leider hält der Baumniederholer dieser Belastung nicht stand, er reißt aus. So können wir nicht mehr halsen und damit auch nicht mehr sicher unter Spi segeln. Wir verlieren unseren zweiten Platz und werden 9.

Während der Pause zwischen dem ersten und zweiten Lauf bekommen wir professionelle technische Unterstützung und haben nach 20 Minuten wieder einen provisorischen aber voll funktionalen Großbaumniederholer. Der Einsatz hat sich gelohnt, denn es folgen ein 2. und ein 3. Platz! Mit der entsprechenden Übung im Umgang mit dem Boot geht es also! Unsere Leistungskurve hätte seit Regattabeginn steiler kaum sein können.

 

Am Samstagabend findet nach dem Essen im Yachtclub eine große Party statt. Fast alle Teams sind dort. Der Yachtclubinhaber hat extra für seine studentischen Gäste einen DJ engagiert, der für sensationelle Stimmung sorgt. Der Skipper vom Team Southampton beweist, dass er auch in anderen Disziplinen konkurrenzfähig ist und trinkt in weniger als 20 Minuten 9 (!) halbe Liter Bier. Gegen 02.00 Uhr entscheidet sich ein Großteil, noch in die Stadt zu ziehen. In der Kebabstraße ist es zum außergewöhnlichen Anlass sogar möglich, seinen Döner per Scheck zu bezahlen. Die einzige Frau an Bord des Teams Southampton hat an diesem Abend alle Hände voll zu tun, ihre Jungs und insbesondere den Skipper davon zu überzeugen, dass der Abend gegen 04.00 Uhr ein Ende haben sollte, wenn man um 08.30 Uhr am Folgetag bereits zum Skipperbriefing für zwei Läufe der Gold-Gruppe erwartet wird und es um 09.00 Uhr aufs Wasser geht. Der Skipper ist anderer Meinung: „I do not agree. I escaped. Paaaarty!“ Der Abend war superlustig!

Am Sonntag, dem letzten Tag der Veranstaltung, findet für uns kein Lauf mehr statt. Den Vormittag nutzen wir zur kulturellen Fortbildung in der „cité de la mer“, einem maritimen Museum: Wir stülpen uns pinke Fußabtreter über, ärgern Fische und schauen uns ein ausrangiertes Atom U-Boot von innen an.

 
Am Nachmittag werden die Sieger geehrt. Auch dieses Mal macht „UBS Loriet“ wieder den ersten Platz und Team Southampton gewinnt – vermutlich nicht ganz ohne Einfluss des einzigartigen Einsatzes ihres Skippers am vergangenen Abend – den Fair-Play-Award. Wir lassen in der Gesamtwertung immerhin noch fünf Teams hinter uns! Außerdem haben wir den Titel des Deutschen Meisters bei der „Trophée de l'Ile Pelée 2008“ in Cherbourg souverän erkämpft und damit wieder einmal den Namen der Uni Karlsruhe und den der ASK international würdig vertreten!

Abschließend sind die unglaubliche Gastfreundschaft und die perfekte Organisation der Regatta zu betonen! Danke an Justine und ihre Kommilitoninnen für die herzliche Betreuung! Für uns steht fest: Wenn es eh geht, kommen wir nächstes Jahr wieder und dann brauchen wir keine zwei Tage mehr, um konkurrenzfähig zu werden!

 

Bericht: Birger Becker

Fotos: Felix Zahn & Regattaleitung

Datum: 05.03.08 - 09.03.08
Skipper: Felix Zahn
Boot: First Class 8
Crewstärke: 5
Studentische Teilnehmer: 5
Start- & Zielhafen: Cherbourg-Octeville, Frankreich
Bericht: Birger Becker