Mit dem sechsten Kettentörn sollte die askew von Malaga nach Marseille überführt werden. Zu Beginn unseres Törns waren die Auswirkungen des Coronavirus noch nicht zu spüren. Am Flughafen wurde lediglich gefragt, ob man in den letzten Tagen Fieber gehabt habe oder in Italien war. In Malaga angekommen waren wir zunächst vom sommerlichen T-Shirt-Wetter überrascht, in Deutschland hatte es kurz vor der Abreise noch geschneit. Mit dem Bus machten wir uns auf den Weg zum Hafen. Nachdem wir auf der askew angekommen waren, gingen wir zunächst für die anstehende Überfahrt einkaufen. Nachmittags traf dann auch die Vorgängercrew für die Übergabe am Boot ein. Diese hatten sich noch für eine Nacht eine Ferienwohnung gemietet und abends gingen beide Crews gemeinsam essen.

Am nächsten Tag wollten wir dann unsere Reise Richtung Marseille starten. Wir mussten aber zunächst noch auf die Genua warten, die sich für kleinere Reparaturen bei einer Segelmacherin befand. Nachdem die Genua zur Mittagszeit an Bord abgeliefert worden war, hieß es endlich „Leinen los!“ . Die Segelbedingungen am ersten Tag waren super: Sonnenschein, sommerliche Temperaturen und etwa 15 Knoten Westwind. Unser erstes Teilstück führte uns nach Caleta de Velez, wo wir am frühen Abend eintrafen. Da für die nächsten Tage stürmisches Wetter mit Böen von bis zu vierzig Knoten angekündigt war, blieben wir dort für zwei Nächte. Am übernächsten Tag tat sich dann ein kurzes Wetterfenster auf, indem eine Weiterfahrt möglich schien und wir legten frühmorgens ab. Nach wenigen Meilen nahm der Wind jedoch wieder stark zu und wir mussten unsere Weiterfahrt schon zur Mittagszeit abbrechen. Auf dem Weg zur schönen Marina Del Este begleitete uns eine Deflinschule. Den Nachmittag nutzten wir für einen Badeausflug zum nahegelegenen Strand.

Da noch viele Meilen bis nach Marseille vor uns lagen und wir bereits einige Tage aufgrund des schlechten Wetters verloren hatten, entschieden wir uns dazu am nächsten Tag zu einem langen Schlag mit Nachtfahrt zu starten. Wir legten noch vor dem ersten Sonnenschein ab und entfernten uns zunächst viele Meilen von der spanischen Küste, da dort bessere Windbedingungen vorhergesagt wurden. Da wir nur zu viert unterwegs waren und der Autopilot der askew leider defekt war, war das Segeln in verschiedenen Wachen recht anstrengend. Permanent musste jemand am Steuer stehen und jedes Ein- oder Ausreffen musste entweder allein durch ein Crewmitglied erfolgen oder die Freiwache musste an Deck gerufen werden. Die Windbedingungen waren jedoch sehr gut und das Segeln machte allen großen Spaß. Nach einem gemeinsamen Abendessen und einem schönen Sonnenuntergang segelten wir in die erste Nacht auf See. Mitten in der Nacht passierten wir das Kap de Gata. Hier herrschte dichter Verkehr und die askew musste viele Haken schlagen, um den diversen Frachtschiffen auszuweichen. Das AIS erwies sich hierbei als große Hilfe. Nach einem weiteren Tag auf dem Wasser erreichten wir am frühen Abend Cartagena. Hier füllten wir zunächst unsere Vorräte auf und zum Abendessen kochte Stephan ein hervorragendes Gulasch.

Am nächsten Morgen segelten wir weiter Richtung Norden. Zunächst hatten wir noch guten Wind, doch mittags flaute dieser stark ab. Wir entschlossen uns daher bei den ruhigen Bedingungen das Mittagessen warm zu machen. Kaum war das Gulasch vom Vorabend auf dem Herd, frischte der Wind innerhalb von einer Minute auf über 25 Knoten auf. Sofort begaben wir uns alle an Deck, um schnell zu reffen und das Boot unter Kontrolle zu bringen. Die askew krängte stark und nach kurzer Zeit hatte sich ein starker Seegang aufgebaut. Nachdem wir uns an die rauen Bedingungen gewöhnt hatten, offenbarte ein Blick unter Deck das Desaster: Der Topf mit dem Gulasch war umgekippt und der Inhalt hatte sich hinter den Herd ergossen – eine komplette Sauerei. Von da an kontrollierten wir immer mehrfach, ob der Topf richtig fixiert war und der Herd entsprechend justiert war. Der plötzlich einsetzende Starkwind sollte noch ein Vorbote für weitere schwere Stunden sein.

Gegen drei Uhr nachts rundeten wir auf am Wind Kurs das Kap Negre. Hinter dem Kap frischte der Wind plötzlich auf 35 Knoten auf. Innerhalb von wenigen Minuten tobte die See um uns herum. Überkommendes Wasser spritzte ins Cockpit, der Wind pfiff laut und die askew krängte sich bedrohlich. Da sich die Bedingungen weiter verschlechterten, entschieden wir uns dazu das Großsegel zu bergen und nur unter der gerefften Fock in Landnähe Zuflucht zu suchen. Unter diesen Bedingungen war das Bergen des Großsegels jedoch eine große Herausforderung. Die Wellen waren inzwischen etwa zwei Meter hoch und es war sehr schwer am Mast Halt zu finden. Mehrere Minuten kämpften wir mit dem schlagenden Tuch. Schließlich hatten wir Erfolg und konnten das Groß bergen. Während des Manövers standen die Fockschoten jedoch nicht permanent unter Spannung – ein kapitaler Fehler wie sich kurz darauf herausstellen sollte. Die schlagenden Schoten verknoten sich zu einem riesigen Knäul, das angetrieben durch den Wind wild umherschlug. Das Schotknäul zerschlug eins der Mastinstrumente und eine Luke. Sofort holten wir die Schoten wieder an, um ein weiteres Umherschlagen zu verhindern. Um wieder hinter das schützende Kap zu kommen mussten wir anschließend wenden, ein Schiften der Fock war aufgrund des riesigen Knäuls jedoch nicht möglich. Mit Motorunterstützung kämpften wir uns langsam Richtung Land. Durch den starken Seegang und das defekte Mastinstrument war es schwer den Kurs zu halten. Die Crew war komplett nass und durchgefroren. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten wir schließlich Landnähe und die Bedingung besserten sich. In einer kleinen Bucht etwas südlich vom Kap warfen wir den Anker und konnten uns unter ständiger Ankerwache endlich aufwärmen und erholen. Müde fielen wir in unsere Kojen.

Am nächsten Vormittag inspizierten wir die Schäden am Boot. Das Wetter hatte sich gebessert und die Sonne schien auf uns herab. Plötzlich fiel uns auf, wie schön die Bucht um uns herum eigentlich war. Wir lagen direkt unterhalb einer spektakulären Steilwand. Zur Mittagszeit liefen mehrere Tagestouristen, die von den Strapazen der Nacht nichts mitbekommen hatten, die Bucht für einen Badestopp an. Wir beschlossen den Tag dort liegen zu bleiben und erst gegen Abend weiter zu segeln. Die beängstigende Erfahrung der letzten Nacht hatte ihre Spuren bei uns hinterlassen und wir wollten uns zunächst noch etwas erholen. Kurz vor dem Sonnenuntergang lichteten wir schließlich den Anker und fuhren weiter Richtung Barcelona. Leider gab es kaum Wind und wir mussten fast die gesamte Strecke motoren. Auch die Temperaturen hatten inzwischen stark abgenommen. Nachdem wir vor Malaga noch im T-Shirt gesegelt waren, trugen wir jetzt dicke Jacken, Mützen und Winterhandschuhe. Nach zwei wenig ereignisreichen Nächten erreichten wir schließlich den Olympiahafen in Barcelona. Da wir bereits vormittags anlegten, konnten wir den Nachmittag nutzen, um ein wenig die Stadt zu erkunden. So besichtigten wir die Sagrada Família und spazierten die La Rambla entlang.

Am nächsten Tag stand schließlich die finale Etappe unserer Reise an. Da wir auf dem Weg nach Barcelona nur wenig geschlafen hatten, holten wir diesen Schlaf zunächst nach und legten erst gegen Nachmittag ab. Bei schönstem Wind segelten wir auf Raumschotskurs in einen wunderschönen Sonnenuntergang. Nachts ankerten wir für wenige Stunden in einer Bucht nördlich von Lloret de Mar um ein Tiefdruckgebiet mit starken Winden durchziehen zu lassen. Auf der Rückseite des Tiefs herrschte jedoch absolute Flaute. Nach anderthalb Tagen Fahrt unter Motor erreichten wir schließlich Marseille und somit das Ziel unserer Reise. Es lagen sehr anstrengende und erlebnisreiche 787 Seemeilen in unserem Kielwasser.

Inzwischen zeigten sich auch die Auswirkungen des Coronavirus deutlich. Während unserer Überfahrt waren weite Teile Spaniens zu Risikogebieten erklärt worden und erste europäische Länder schlossen ihre Grenzen. Auch die askew sollte die nächsten Monate an Land stehen anstatt wie geplant diverse Regatten und Törns im gesamten Mittelmeer zu absolvieren. Zwei Tage bevor Deutschland seine Grenze zu Frankreich schloss, reisten wir ohne größere Probleme mit dem TGV zurück nach Karlsruhe.

Datum: 29.02.20 - 14.03.20
Revier: Spanische Mittelmeerküste
Skipper: Michael Andree
Boot: askew
Crewstärke: 4
Starthafen: Benalmádena
Zielhafen: Marseille
Zurückgelegte Seemeilen: 787
Projektleiter: Marc Vieweger
Bericht: Robert Lefringhausen